Zeitschriftenkritik: Agora Europa - „Die Zukunft des Krieges“


Zeitschriftenkritik: Agora Europa

„Die Zukunft des Krieges“

Werner Olles

„Wie wandelt sich der „Vater aller Dinge“, und wie verändert er uns?“ fragt die aktuelle Ausgabe (4/2023) von „Agora Europa“ in ihrem Titelthema „Die Zukunft des Krieges“. Der Ökonom und Jurist Peter Steinborn sieht Europa als „wehrlosen Kontinent“ angesichts des völligen Zusammenbruchs der europäischen Friedensordnung und der allmählichen Auflösung der Weltordnung. Zwar habe der „nicht unvorhersehbare“ Rußland-Ukraine-Konflikt zu den wahrscheinlicheren Szenarien gehört und fand auch bereits seit 2014 mit „niedriger Intensität“ statt, doch die EU bezeichnet er unumwunden als „Papiertiger“. Auch das von den USA beherrschte NATO-Bündnis habe inzwischen „mehr Risse als augenscheinlich sichtbar“, seit die Türkei, Ungarn und Teile des Westbalkans eine abweichende Haltung zu Rußland forcieren. Moralisch sei der Westen ohnehin an einem Tiefpunkt angelangt, einhergehend mit einem massiven Werteverfall, einer zunehmenden Säkularisierung und deutlichen Identitäts-Störungen. Hingegen würden die USA und der amerikanische Exzeptionalismus von immer mehr Nationen und Zivilisationen als „Kulturimperialismus“ betrachtet. Der Autor spricht in diesem Zusammenhang von „Tittytainment“, eine Wortschöpfung, welche die Herrschaft durch Softpower mittels einer die niedrigen Instinkte anregenden Unterhaltungsindustrie (Pornographie, Fast Food etc.) bezeichnet. Eingehend auf die Frage nach einem „Vereinten Europa oder einer Vereinigung von Räumen?“ kommt Steinborn zu dem Schluß, daß es von Anbeginn an zum Scheitern verurteilt war, eine Währungsunion in der Hoffnung aufzubauen, „daß daraus gezwungenermaßen eine politische Union entsteht“. Eine militärische Zusammenarbeit sei dagegen durchaus vielversprechend. Zudem plädiert er für eine sich entwickelnde Raumordnung mit mehreren Polen innerhalb Europas in Gestalt von „Großraum-Nationen“. Deutschland und Frankreich sieht er dabei als „Treiber und Gestalter der Europäischen Ordnung“. Dazu müßten jedoch nationale Egoismen überwunden werden und europäischen Interessen weichen, um Europa als Machtpol in einer multipolaren Welt zwischen Rußland, China und den USA zu installieren. Ein realistischer oder nur ein schöner Traum?


Der Ökonom Tom Dieke beschreibt in seinem Essay „Die Rückkehr des Kriegers – Skizzierung eines neuen Typus für unsere Zeit“ den Konflikt im Osten Europas und die Wehrunfähigkeit des Kontinents, dessen internationale Einrichtungen (NATO, UNO, EU etc.) ihre Friedensfunktion nicht erfüllen konnten, sondern den Krieg im Gegenteil noch anheizten. Insbesondere die grünen „Pazifisten“ überschlugen sich in ihren Forderungen nach einer Ausweitung des Konflikts. Reflexartig habe man sich auf den angeblich „Schuldigen“ gestürzt, der die urgrüne „Weltfriedensutopie“ zerschlug und nun bestraft werden mußte. Das „Pippi Langstrumpf-Syndrom“, eine anhaltende Realitätsverweigerung gepaart mit massiver Erkenntnis- und Beratungsresistenz habe zu einem „Ausstieg aus der Geschichte“, der „Entmännlichung unserer Gesellschaften“, dem Abschied vom Leistungsprinzip und einer Konfliktinterpretation aus dem alleinigen Blickwinkel des Mitleids geführt. Tatsächlich seien Kampf und Leben jedoch untrennbare Einheiten, und Sicherheit und Frieden nur durch Wehrbereitschaft erreichbar. Inzwischen bröckele das Fundament eines Systems, dessen Untertanen jahrzehntelang mit Wohlstand und fragwürdigen Narrativen gefügig gemacht wurden. Indes schwinde nun der Wohlstand infolge der links-grünen Deindustrialisierung, und die Narrative führten aufgrund ihrer eklatanten Widersprüche Konflikte herbei oder würden von vielen Bürgern inzwischen ohnehin als Schwachsinn angesehen. Die Vollkaskomentalität habe nun ihr Ende erreicht, doch sei dies zugleich auch eine große Chance. Mit dem neuen Typus des Kriegers, dessen Waffen sein Charakter, seine Persönlichkeit, Unbestechlichkeit und Aufrichtigkeit, sein Familien- und Gemeinschaftssinn, sowie der Glaube, die Freude am Schönen und ein tiefes Kulturgefühl seien, breche eine neue und bessere Zeit an.

Der chilenische Romanautor Christián Barros sieht den Rußland-Ukraine-Konflikt als „Beginn des Dritten Weltkrieges“, bei dem es um den „Erhalt der Hegemonie des Petrodollars“ gehe, obwohl es sich bei der Ukraine nur um eine mittelmäßige „Beutetrophäe“ handle, Deutschland inzwischen am Rockzipfel angloamerikanischer Ölfirmen hänge, und das Scharmützel in einer nuklearen Apokalypse enden könne, während die Eliten in Washington Rußland als den taktischen, China als den strategischen Feind und Deutschland als Opfer betrachteten.


Leonid Savin (im Bild), Politikwissenschaftler, Verwaltungschef der Internationalen Eurasischen Bewegung und Mitglied des Lenkungsausschußes des Internationalen Terrorbekämpfungszentrums in Islamabad über Krieg, Metapolitik und Multipolarität und nicht zuletzt Mitglied der Militärwissenschaftlichen Gesellschaft im Verteidigungsausministerium der Russischen Föderation, beton im Interview mit Chefredakteur Alexander Markovics vor allem die enorme Bedeutung von Metapolitik und Multipolarität in Zeiten des Krieges. Die Versprechungen von Klaus Schwab und dem WEF bezeichnet er als Inszenierung eines ideologischen Putschs, dessen Metaphern die Erzählung einer imaginierten Revolution zu bedienen. Dies sei jedoch nichts anderes als ein moderner Mythos, denn Schwabs „Schöne Neue Welt“ existiere einfach nicht. Der Great Reset stelle den Versuch dar, die Unipolarität unter einem neuen Vorwand der ganzen Welt aufzuzwingen. Doch besonders für die sogenannten Entwicklungsländer handele es sich dabei um „eine neue Form des Kolonialismus mit einer futuristischen Bildsprache und post-modernen Technologien, aber im Endeffekt sind es die gleichen Instrumente der westlichen Hegemonie und Dominanz. Auf die Frage nach dem Konzept des „Coaching War“, den der kollektive Westen und die NATO im Moment benutzen, um die Ukraine zu transformieren, beschreibt Savin nicht nur die Propaganda, Aufklärungsdaten und Führungs- und Leitsysteme, die gegen Rußland verwendet werden, sondern geht auch auf die metaphysische Ebene ein wie die Cancel Culture gegen die traditionelle russische Kultur und die Russisch-Orthodoxe Kirche, die in der Ukraine offiziell verboten ist. Bereits seit 2014 herrsche im Westen Schweigen der Menschenrechtsorganisationen über die Zerstörung der Meinungs- und Glaubensfreiheit durch die Junta in Kiew. Die westliche Hybridkriegsführung richte sich jedoch inzwischen auch gegen die eigenen Völker. Dies sei besonders deutlich geworden bei den absurden Ideen und Datenmanipulationen von Globalisten wie Bill Gates und Klaus Schwab im Zusammenhang mit der Klimawandelagenda und den Corona-Maßnahmen. Unter einem politischen Deckmantel verbreite man Lügenmärchen, Desinformationen, die letztlich mit der Entwicklung und Implementierung grüner Technologien und einer neo-malthusianischen Politik zur Rückkehr des Raubtierkapitalismus der letzten Jahrhunderte führten.


Eindringlich plädiert Savin für eine multipolare Ordnung anstelle des vom Westen dominierten unipolaren Chaos. Doch sei die Multipolarität erst in der Aufbauphase, nun stelle sich die Aufgabe, diesen Moment in eine echte, qualitative Multipolarität umzuwandeln. Dies sei zwar aus der Sicht des Westens nicht wünschenswert, doch die Realität werde die Völker des Westens früher oder später dazu zwingen für die eigenen nationalen und kulturellen Interessen zu kämpfen.

Weitere Beiträge beschäftigen sich mit „Serbien und der Kosovo in den 2020ern: Das Pulverfaß Europas“ (Stefan Brakus), „Polarisierung und Zerfall – Die Zukunft der USA“ (Dominik Schwarzenberger), „Die BRICS-Staaten: Grundlagen der multipolaren Architektur“ (Raphael Machado) und „Die postmoderne Kriegsführung sieht alt aus“ (Marco Malaguti).

Werner Olles

Kontakt: Metapol Verlag & Medien. Caya Postbox 604127, D-11516 Berlin. Das Einzelheft kostet 12 Euro. www.gegenstrom.org

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