Ein Denkmal für die Welt der Tradition


Georges Becker: Die Krönung von Zar Alexander III. und Zarin Maria Feodorovna

Ein Denkmal für die Welt der Tradition

Quelle: https://www.idnl.org/


Überall in Europa gehen die Lampen aus...'

- Sir Edward Grey, Britischer Außenminister im Jahr 1914.

Cambridge Scholars hat kürzlich den zweiten Band von "A Traditionalist History of the Great War" veröffentlicht, Dr. Alexander Wolfheze's große Geschichte des Ersten Weltkrieges. Der erste Band erschien vor einigen Jahren unter dem Titel "The Sunset of Tradition", der zweite Band trägt den Titel: "The Former Earth". (erhältlich hier und hier). Während sich der erste Teil der Reihe mit der kulturgeschichtlichen Entwicklung zum Ersten Weltkrieg beschäftigt, gibt der zweite Teil eine Bestandsaufnahme der geopolitischen Situation der Welt bei Kriegsausbruch. Die beiden Teile ergänzen sich gegenseitig, können aber auch unabhängig voneinander studiert werden. Sie werden Wolfheze natürlich von seinen gut recherchierten Essays auf dieser Website kennen. Dieser gründliche Ansatz zeigt sich auch in diesem zweiten Teil der Serie. Wiederum ist es ein gehaltvolles Buch, das voller Verweise auf die wissenschaftliche Literatur ist, in dem aber auch reichlich Platz für poetisch-philosophische Betrachtungen ist.

In seinen Überlegungen zum "Großen Krieg" verbindet Wolfheze ein traditionalistisches Weltbild mit der geopolitischen Sichtweise, in der Nationen primär als Seemächte (England, Niederlande) oder Landstreitkräfte (Preußen, Russland) analysiert werden. Der Traditionalismus betrachtet die Weltgeschichte aus der Perspektive eines Kampfes zwischen den Kräften der Tradition und der Moderne oder des kulturellen Nihilismus. Zu letzterem gehören militanter Säkularismus, hedonistischer Konsumismus, soziale Anomie und Kulturrelativismus. Im Gegensatz dazu leitet der Traditionalismus die geforderten Werte und Identitäten in einer Gesellschaft aus einer transzendenten Ordnung ab: der Mikrokosmos als Spiegelbild des Markokosmos. Der Blick des Traditionalismus ist immer nach oben gerichtet, auf eine Berufung, die über das flach Irdische hinausgeht. Die Moderne hingegen stellt sich kategorisch gegen diese Ordnung und verkommt so zu einem untermenschlichen, unternatürlichen, ja dämonischen Chaos.


Nach Wolfheze hängt die Macht der Moderne oder des kulturellen Nihilismus jedoch ganz von ihrem Griff nach der Vergangenheit ab, und das ist ihre Achillesferse. Vielleicht meint er, dass der kulturelle Nihilismus sich nur deshalb als akzeptable Alternative präsentieren kann, weil es ihm gelungen ist, die traditionalistische Vergangenheit völlig zu verteufeln? In jedem Fall hofft Wolfheze, mit der Axt seiner historischen Werke dieser Achillesferse einen schweren Schlag zu versetzen. Dabei gelangt er zu einer grundlegenden Kulturkritik im Sinne von René Guénon, Frithjof Schuon und Julius Evola, die die existenziellen Unterschiede zwischen der Welt vor und nach dem wichtigsten Konflikt der Weltgeschichte aufdeckt. Anhand dieser Geschichte zeigt Wolfheze deutlich, dass die historisch-materialistische Idee des "Fortschritts" eine fatale Illusion ist und dass die Welt vor 1914 - obwohl nicht ideal - der Nachkriegssituation weit vorzuziehen ist.

Wolfheze erörtert in seinem Buch die Situation der zehn mächtigsten Länder im Jahr 1914: die europäischen Mächte, ergänzt durch die Vereinigten Staaten, die Türkei, China und Japan. Es ist passend, dass er mit Amerika, als der aufstrebenden führenden Seemacht, beginnt und mit dem Russischen Reich, das zur schrecklichsten Zerstörung verdammt ist, als der führenden Landmacht schließt. Für jede Nation werden der Reihe nach ihre Symbole, die Grundlagen ihrer Legitimität, ihre Ursprünge und ihre Geopolitik analysiert, um zu einer Positionierung im traditionalistischen Universum zu gelangen.

Der Ton der Analyse wird im Vorwort mythisch-poetisch mit einem Zitat von H. P. Lovecraft gesetzt:

Als das Alter über die Welt hereinbrach und das Staunen aus den Köpfen der Menschen verschwand; als graue Städte hohe Türme grimmig und hässlich in den rauchigen Himmel ragten, in deren Schatten niemand von der Sonne oder den blühenden Wiesen des Frühlings träumen konnte; als das Lernen die Erde von ihrem Mantel der Schönheit entblößte und die Dichter nur noch von verdrehten Phantomen sangen, die mit trüben und nach innen gerichteten Augen gesehen wurden...

Wer denkt bei diesen Worten nicht an die Kreaturen, mit oder ohne verzerrte Vorstellung von ihrem Geschlecht oder ihrer Sexualität, mit lila Haaren und hohlen Internet-Augen, die in unserer heutigen "Kultur" den Ton angeben? Das Licht, die Magie, die Gewandtheit und die imaginatio (Vorstellungskraft) des Goldenen Zeitalters sind immer weiter in die blasse Realitätserfahrung von heute zurückgetreten.


Die poetische Weltsicht von Wolfheze vergöttert die Natur jedoch nicht. Er lehnt sowohl den platten Materialismus des Darwinismus als auch den Pantheismus ab, der Gott und den Kosmos in einen Topf wirft. Vielmehr steigt der Mensch als Persönlichkeit aus einer Seelenwelt auf, um in der Unterwelt seine Berufung zu erfüllen. Das bedeutet, dass sich der Mensch, um diese Lebensaufgabe zu erfüllen, zunächst einmal in sich selbst wenden muss, um dort im wörtlichen und übertragenen Sinne Inspiration und seine Identität zu finden. Eine Identität, die jedoch vom vorherrschenden kulturellen Nihilismus als nicht mehr als eine zufällige soziale Konstruktion abgetan wird: Ethnizität, Nationalität, soziale Klasse und sogar das Geschlecht könnten von einer Person zufällig gewählt werden. Es sollte nicht überraschen, dass solche Menschen ohne Ursprung und Ziel zynisch und entwurzelt zurückbleiben, ohne Loyalität und Sinn für ein Ziel. Nach Wolfheze können wir die Welt von 1914 aber nur verstehen, wenn wir uns in eine Welt einfühlen, in der es noch traditionelle soziale Identitäten und die daraus resultierenden Loyalitäten gab.

Wolfheze vertritt eine traditionalistische Geschichtsauffassung, in der langfristige Entwicklungen unausweichlich sind, was uns auch bei Oswald Spengler begegnet. Der Niedergang wird erst einmal seinen Lauf nehmen müssen, bevor etwas Neues entstehen kann. Traditionelle soziale Identitäten sind dem Untergang geweiht, was wir überall auf der Welt beobachten können, mit der markanten Ausnahme des Kaiserreichs Japan. Das Primat der Politik, das mit sozialen Identitäten zusammenhängt, ist völlig verwässert: Überall auf der Welt haben nicht die Politiker, sondern die superreichen Besitzer von multinationalen Unternehmen wie Facebook, Google und Twitter das Sagen. Ihr Regime zerstört, was von einheimischen Ethnien und authentischen Kulturen übrig geblieben ist.

Der "Große Krieg" war ein Meilenstein in dieser historischen Entwicklung, denn er führte zum Untergang von vier noch zum Traditionalismus neigenden Imperien: den Imperien Deutschlands, Österreich-Ungarns, Russlands und des Osmanischen Reiches. In der heutigen Welt aber, so Wolfheze, sei der kulturelle Nihilismus inzwischen so weit vorgedrungen, dass alle Völker der Welt ihre geistig identischen Ursprünge aufgegeben hätten. Was von nationalen und ethnischen Identitäten übrig geblieben ist, hat seine prägende Kraft verloren. Ein niederländischer Reisepass bedeutet heute nicht mehr als ein Führerschein. Er verweist nicht mehr auf eine reale, erlebte Identität, für die es sich zu leben, zu sterben und zu kämpfen lohnt. Wolfheze glaubt daher, dass die Reste der Identität allenfalls als Mahnmale dienen können, die der moderne Mensch aufbewahren kann, um der verlorenen Ruhmeswelt der Tradition seinen Respekt zu erweisen. In diesem Sinne kann auch Wolfhezes monumentales Werk gesehen werden: als Denkmal für den verlorenen Ruhm. Aber dieses Gedenken kann hoffentlich auch die Kämpfer von heute inspirieren.

Die Bedeutung der Geschichte liegt in den Werten, die aus ihr entstehen, nicht in den
Völkern, die darin verschwinden.


- Nicolás Gómez Dávila

 

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