Alfred Lichtenstein (1889-1914)


Alfred Lichtenstein (1889-1914)

Jan Huijbrechts

Jeden Sonntag versuche ich, Ihnen ein Gedicht zu bringen oder einen Dichter hervorzuheben, der auf die eine oder andere Weise mit dem Ersten Weltkrieg zu tun hat. Damit setze ich die Tradition fort, die ich seit fast fünf Jahren mit der 'Sunday Front Poetry Day'-Kolumne in meinem inzwischen eingestellten 'In Flanders Fields'-Blog aufrechterhalten habe. 

Heute ist das Gedicht "Abschied" des frühen deutschen expressionistischen Dichters und Literaturtheoretikers Alfred Lichtenstein (1889-1914) an der Reihe. Die oft grotesken Gedichte des Berliner Juristen erschienen vor dem Krieg in den Avantgarde-Zeitschriften "Der Sturm" und "Der Aktion". 

Nach Abschluss seines Jurastudiums hatte sich Lichtenstein im Oktober 1913 als Einmann-Freiwilliger beim Bayerischen Infanterie-Regiment Nr. 2 gemeldet und war damit zum Zeitpunkt der Mobilmachung im aktiven Dienst. 

In seinem Gedicht "Abschied" schrieb er etwas prophetisch, dass er "innerhalb von dreizehn Tagen tot sein würde"... In Wirklichkeit wurde er sieben Wochen, nachdem er dieses Gedicht geschrieben hatte, am 25. September 1914 in der Nähe von Reims getötet... Er erhielt seine letzte Ruhestätte in einem Massengrab auf dem deutschen Soldatenfriedhof von Vermandovillers an der Somme.

Abschied

(kurz vor der Abfahrt zum Kriegsschauplatz für Peter Scher)
 

Vorm Sterben mache ich noch mein Gedicht. 

- Still, Kameraden, stört mich nicht.
Wir ziehen zum Krieg, Der Tod ist unser Kitt. 

- O, heule mir doch die Geliebte nit.
Was liegt an mir. Ich gehe gerne ein. 

- Die Mutter weint. Man muss aus Eisen sein.
Die Sonne fällt zum Horizont hinab. 

- Bald wirft man mich ins milde Massengrab.
Am Himmel brennt das tapfere Abendrot. 

- Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot.

 


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