Evola und die Metaphysik der Macht


Evola und die Metaphysik der Macht

von Joakim Andersen

Der italienische Traditionalist Julius Evola (1898-1974) ist eine der produktivsten Persönlichkeiten der Neuzeit. Er hinterließ zahlreiche Bücher und Artikel, immer charakteristisch luzide und gelehrt, zu Themen, die vom Bergsteigen und der Magie bis zum Buddhismus und der Metaphysik der Liebe reichen. Evolas Perspektive war die traditionelle, diejenige, die "jeder Mensch von guter Geburt in den Zeiten vor der Französischen Revolution für normal und gesund hielt." Dies verleiht seinen Analysen und Kritiken der modernen Welt einen beträchtlichen Wert; er studiert den modernen Westen sowohl als Außenstehender als auch als gebildetes Mitglied unserer westlichen Zivilisation. Gleichzeitig ist sein traditionelles Weltbild unangreifbar und gut in der Geschichte verwurzelt, was ihm erlaubt, das "Denken hinter" solchen Dingen wie Monarchie, Stände und Ehe zu erklären. Dies steht im Gegensatz zu dem mehr oder weniger burschikosen "so war es, als ich ein Kind war". In einem Kulturkampf gegen das, was Evola als Subversion bezeichnete, von dem der "Kulturmarxismus" nur ein begrenzter Teil ist, ist eine solche Fähigkeit, das Wesen der Phänomene zu erkennen, von großem Wert. Auch Evolas kompromissloser Appell, der sich nicht zuletzt an widerstreitende Naturen richtet, hat zu einem wachsenden Interesse beigetragen. In den letzten Jahren wurden mehrere Bücher und Artikel von "unserem Marcuse" ins Englische übersetzt, nicht zuletzt von Arktos Publishers.

Kürzlich ist der Sammelband Metaphysik der Macht erschienen, der eine Reihe von Texten zur Politik im weiteren Sinne zusammenfasst. Die Artikel sind nach Themen gegliedert, wobei Evola den Staat, die Erziehung und die Familie, die Freiheit und die Pflicht, die Monarchie, das Kaiserreich, die Krise der modernen Gesellschaft und die Aristokratie analysiert. Jeder, der Revolte gegen die moderne Welt gelesen hat, ist mit Evolas Weltanschauung in groben Zügen vertraut, aber sie wird hier in einigen konkreten Analysen zu Themen wie Scheidung und den zwei Gesichtern des Liberalismus erkundet. Evola unterscheidet zum Beispiel zwischen religiösen und zivilen Ehen; im Falle der letzteren sieht er kein wirkliches Hindernis für eine Scheidung (außer der Sorge um eventuelle Kinder). Was die zwei Gesichter des Liberalismus betrifft, so sieht er neben dem gewöhnlichen, schädlichen Liberalismus eine potentiell positive Tendenz, "inspiriert von seiner vorideologischen und voraufklärerischen Tradition", einen Liberalismus, der auf "die größtmögliche Freiheit in der individuellen Privatsphäre... wobei jede ungesetzliche und unnötige Einmischung in diese Sphäre durch öffentliche und gesellschaftliche Kräfte bekämpft wird". Evola beschreibt hier einen in der Aristokratie verwurzelten Liberalismus und nicht den Liberalismus als Ideologie, aber es ist wahrscheinlich, dass die Freunde von Jouvenel und Hoppe etwas von ihm lernen könnten.


Interessanterweise geht Evola in einem kurzen Artikel auf Dumezils Studie über das trifunktionale indoeuropäische Weltbild ein. Evola äußert sich grundsätzlich sehr positiv über Dumezils Werk, das "mit äußerster Klarheit und Anschaulichkeit geschrieben" ist, hat aber zwei Einwände gegen seine Verknüpfung des trifunktionalen Weltbildes mit den Indoeuropäern. Einerseits sieht er sie als Gattungsbegriff, andererseits zieht er es vor, die Gesellschaft als vierfach zu sehen. Die wiederkehrenden Komponenten sind "Souveränität, Streitkräfte, Bourgeoisie und Arbeiter". Das erkennt man an seiner Geschichtsschreibung, in der Kaste und Regression eine wichtige Rolle spielen. Evola geht diesen Prozess in dem längeren Artikel Über den Untergang der Idee des Staates durch und konzentriert sich dabei auf den Staat. An dieser Stelle sei angemerkt, dass Kaste nicht unbedingt mit Klasse identisch ist, Evolas Einteilung ist vielleicht schwer mit dem germanischen Odal-Ideal zu vereinbaren, wo die "breite Masse" der Bauern und Arbeiter nicht wirklich "Masse" war.

Interessanterweise erwähnt Evola in einem anderen Artikel auch den Männerbund und bringt ihn mit "den Ursprüngen der Souveränität" in Verbindung. Er stellt fest, dass "mit der Zeit der Revolutionen in Europa ein gewaltiger Angriff auf alles begann, was den Anschein eines 'Männerbundes' behielt." Wie Blüher unterscheidet er zwischen den Werten des Männerbundes auf der einen Seite, Ehre, Kampf und Herrschaft, und denen der "Gesellschaft" auf der anderen, Frieden, Ökonomie, materieller Wohlstand, natürliches Trieb- und Gefühlsleben und Sicherheit.

Ein wertvolles Element ist Evolas Beschreibung dessen, was es bedeutet, ein Mensch und nicht nur ein Individuum zu sein. "Den Menschen - oder zumindest eine hinreichend große Gruppe von Menschen - auf diesen Wert der Persönlichkeit zu reduzieren, der durch tausend kulturelle, soziale und politische Prozesse schwer beeinträchtigt wurde, mit einer Aktion, die sich nun über Hunderte von Jahren erstreckt - das ist die primäre und grundlegende Aufgabe heute", lautet der Ausgangspunkt. Die Definition der Person ist "eine wirksame Überlegenheit über das natürliche Wesen, über alles, was einfacher Instinkt, einfaches Leben ist, und darüber hinaus über alles, was abstrakt ist, zu besitzen". Hier finden wir den Hintergrund von Evolas hierarchischem Ideal, dem sich viele nur indirekt nähern können, durch die Zugehörigkeit zu jemandem, der es in einem höheren Grad verwirklicht hat. Eine aristokratische Form, die Evola "die Askese der Macht" nennt, gekennzeichnet durch "Loyalität, Aufrichtigkeit, Ehrgefühl, Mut nicht nur im physischen Sinne.... die Tendenz zu einem authentischen Stil, ein Mangel an Eitelkeit, eine virile und würdevolle Unpersönlichkeit." Er verbindet das Auftauchen von Gruppen solcher Männer mit der "Entgiftung" der Gesellschaft; die politische Lösung hat für Evola ein starkes Element einer fast außergeschichtlichen Intervention. Nicht durch ihre eigene Logik, wie im Marxismus, wird die Gesellschaft entgiftet, sondern der Prozess beginnt, wenn eine kritische Masse von differenzierten Individuen ihn durchschaut. Inwieweit dies eine praktikable Strategie ist, ist umstritten.


Die Metaphysik der Macht enthält auch fruchtbare Argumente über das tiefere Wesen der Monarchie, die in Wirklichkeit weder das ist, was bürgerliche Familien tun, wenn sie Bilder von ihren Königshäusern aufhängen, noch dass sie ein diffuses "Symbol" des einen oder anderen darstellt. Evola schreibt hier, dass "der Sinn und die grundlegende Funktion der traditionellen Monarchie darin besteht, die 'Transzendenz', Stabilität und Kontinuität der politischen Autorität zu gewährleisten, um einen unveränderlichen und höchsten Bezugs- und Gravitationspunkt für den gesamten politischen Organismus zu schaffen." Oft genügt hier eine symbolische Rolle, aber in Krisenzeiten kann ein direktes Eingreifen notwendig sein, entsprechend der traditionellen Vorstellung von Monarchie, die Evola widerspiegelt (vgl. Gustaf V. und die Burgrede). Getreu seiner Gewohnheit formuliert er hier markige Absätze wie "Es besteht kein Zweifel, dass eine Nation, die von einem monarchischen Regime zu einem republikanischen übergegangen ist, eine 'degradierte' Nation ist" und rex est qui nihil metuit, König ist der, der nichts fürchtet. Evolas Prämisse ist, dass wir heute Monarchien haben, weil es Könige gegeben hat, und nicht andersherum. Das heißt nicht, dass er den Niedergang der modernen Königtümer und Aristokratien kommentarlos ignoriert, aber er sieht die Lösung eher in der Läuterung als in der Abschaffung.

Ein interessantes Thema in den Artikeln ist Evolas historisches Bewusstsein von den "zwei Gesichtern" der verschiedenen Phänomene. Evola beschreibt, wie das französische Königshaus durch Absolutismus, Zentralisierung und die Neutralisierung von Akteuren wie der Aristokratie den Prozess einleitete, der zur Französischen Revolution führte, aber er argumentiert auch, dass in unserer Ära des Globalismus und des Chaos der Nationalismus eine positive Rolle spielen kann, solange er nicht in undifferenzierten Kollektivismus ausartet. Sein langfristiges Ziel ist jedoch das traditionelle Imperium, "eine supranationale Organisation, die in ihrer Einheit nicht destruktiv und nivellierend gegenüber der ethnischen und kulturellen Vielfalt wirkt, aus der sie sich zusammensetzt." Der Unterschied zur Sowjetunion, den heutigen USA und dem EU-Projekt ist klar. Voraussetzung dafür ist Evolas organisches Gesellschaftsideal, in dem zwischenmenschliche Beziehungen an die Stelle der heutigen anonymen bürokratischen Gegenstücke treten. Inwieweit dies in der heutigen Massengesellschaft möglich ist, ist eine andere Frage; auf jeden Fall gibt es eine klare Verbindung zwischen Evolas organischer Gesellschaft und der indoeuropäischen Gesellschaft, die MacDonald u.a. in Individualism and the Western Liberal Tradition beschreibt (und eine weniger klare Verbindung mit dem Anarchismus, bei dem vor allem die heterodoxeren Formen von Evolas Überlegungen zu Personsein, der Herrschaft der Quantität, Fides und organischer Gesellschaft profitieren können).

Insgesamt ist "Metaphysik der Macht" also eine Goldgrube für jeden, der sich für Evola, die moderne Welt und das Politische interessiert. Evolas Kritik an der modernen Welt, von ihrem Hedonismus bis zu ihrer Parteienmacht, ist unerbittlich und glasklar. Ob man sein traditionelles Weltbild nun voll und ganz teilt oder nicht, es bietet einige lohnende Einsichten darüber, wie abnormal vieles von dem, was man leicht für selbstverständlich hält, wirklich ist. Ob es die zeitgenössischen Politiker sind oder die Behandlung aller Formen der männlichen Bindung als unzeitgemäß und nicht als Quelle des Staates. Kurzum: Metaphysik ist sehr empfehlenswert.

Quelle : https://motpol.nu/oskorei/2021/06/26/evola-och-maktens-metafysik/

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