Die Ukraine, die Niederlage des deutschen Modells: vom Leiter zum 'Paria' des Alten Kontinents


Die Ukraine, die Niederlage des deutschen Modells: vom Leiter zum 'Paria' des Alten Kontinents

von Roberto Iannuzzi


Quelle: Il Fatto quotidiano & https://www.ariannaeditrice.it/articoli/ucraina-la-sconfitta-del-modello-germania-da-leader-a-paria-del-vecchio-continente

Der andauernde Krieg in der Ukraine ist nicht nur ein Stellvertreterkonflikt zwischen Russland und der NATO, sondern eine Auseinandersetzung, die das Machtgleichgewicht zwischen den beiden Seiten des Atlantiks und die gleichen Machtverhältnisse innerhalb des europäischen Kontinents neu definiert. Ein Europa, das weder von Russlands billigen Energieressourcen profitieren noch mit Moskau Handel treiben kann (und wer weiß, vielleicht morgen nicht einmal mit China), ist fatalerweise noch abhängiger von Flüssiggas und dem amerikanischen Markt. Steigende Energiekosten (ein Trend, der sich bereits vor dem Konflikt abzeichnete) werden die Produktionskosten dramatisch erhöhen, was zu einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen und letztlich zu einer Verarmung des alten Kontinents führen wird.

Der deutsche Fall sticht in diesem Zusammenhang hervor. Berlin hatte sich dem Aufbau eines erfolgreichen Wirtschaftsmodells verschrieben, ohne sich um die widersprüchlichen geopolitischen Grundlagen zu kümmern, auf denen es beruhte. Deutschland versorgte seine Industrie mit russischen Kohlenwasserstoffen und nutzte billige Arbeitskräfte aus osteuropäischen Ländern, die seit 2004 in der EU willkommen sind. Dank des Euro, der relativ schwächer ist als die D-Mark, war es für das Unternehmen ein Leichtes, seine Produkte in den europäischen Binnenmarkt und in die ganze Welt zu exportieren, wo es die USA und China zu seinen wichtigsten Kunden zählt. So hat es in den letzten zehn Jahren Handelsüberschüsse zwischen 5,6 und 7,6 Prozent des BIP erwirtschaftet. Obwohl es sich in eine energische und wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland und China (zwei strategischen Gegnern der USA) begeben hat, blieb Berlin militärisch Washington untergeordnet, blieb in der NATO und unterstützte deren Osterweiterung, ohne jene europäische strategische Autonomie zu entwickeln, deren treibende Kraft die so genannte 'deutsch-französische Achse' hätte sein sollen.

Innerhalb der EU hat sich Berlin als wirtschaftlich hegemonialer Akteur durchgesetzt, ohne eine politische Vision auszuarbeiten, die den Zusammenhalt der Mitgliedstaaten stärken würde, oder sich eine Lösung vorzustellen, um die Ungleichheiten innerhalb der Union auszugleichen. Wie der deutsche Journalist Wolfgang Münchau in der Financial Times im Jahr 2020 schrieb, hat Deutschland unter Angela Merkels Führung immer nur das Nötigste getan, um das Überleben der Eurozone zu sichern, und sie von einer Krise zur nächsten schleifen lassen. In der Ukraine hat sich Berlin im Grunde der antirussischen Politik Washingtons angeschlossen, in dem naiven Glauben, dass dies der deutschen "strategischen Tiefe" zugute kommen würde. So unterstützte Merkel den Maidan-Aufstand in Kiew im Jahr 2014 und unterstützte die Sanktionen gegen Moskau nach der russischen Besetzung der Krim. Aber das war den USA nicht genug, die sich schon lange über das deutsche merkantilistische Modell und die Berliner Ostpolitik ärgerten.

Washington hatte längst erkannt, dass Moskau, Peking und der asiatische Kontinent nun in der Lage waren, Deutschland und Europa günstigere Handels- und Investitionsmöglichkeiten zu bieten als die USA. Da die USA nicht mehr über die wirtschaftliche Stärke verfügten, den alten Kontinent an sich zu binden, wie sie es in der Nachkriegszeit getan hatten, blieb ihnen nur das Mittel des Zwangs: 1) Russland in einen Konflikt in der Ukraine hineinzuziehen und es als Aggressor zu beschuldigen; 2) einen neuen eisernen Vorhang in Europa zu errichten und ihn mit einem System von Sanktionen zu verstärken, das die Verbündeten in der wirtschaftlichen Umlaufbahn der USA halten würde; 3) Moskau zu isolieren und damit die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Spaltung mit China zu schaffen. Die Umwandlung der Ukraine in eine Waffe, die auf Russland geworfen werden kann, diente dazu, die sich abzeichnende Annäherung zwischen Berlin, Moskau und Peking zu zerschlagen.

Das russische Ziel war zunächst dem amerikanischen entgegengesetzt: die Nabelschnur, die den alten Kontinent an Amerika bindet, zu durchtrennen und mit China und dem von Deutschland geführten Europa eine multipolare Ordnung zu schaffen, die auf der wirtschaftlichen Integration Eurasiens beruht. Mit der Intervention in der Ukraine hat Moskau offensichtlich den Eindruck gewonnen, dass Berlin und Europa nicht mehr zu retten sind, und hat sich damit abgefunden, auf die Achse mit Peking zu setzen, indem es sich dem amerikanischen Projekt einer neuen Blockkonfrontation anbiedert. In diesem Rahmen sieht sich Deutschland, das die europäische Komponente der eurasischen 'Inselwelt' angeführt hat, zum 'Paria' auf einem alten Kontinent herabgesunken, der wieder von den Amerikanern beherrscht wird. Obwohl er sich dem von Washington gewünschten Sanktionsregime unterworfen hat (das auch die Grundlagen der deutschen Wettbewerbsfähigkeit untergraben soll), wird Merkels Nachfolger Olaf Scholz von den europäischen Extremisten, die für Kiew sind, und von der ukrainischen Regierung selbst als Putin-freundlicher 'Pazifist' bezeichnet, weil er nicht bereit ist, eine noch selbstzerstörerischere Politik zu betreiben.

In der Zwischenzeit verlagert sich der europäische Schwerpunkt der NATO weg von der deutsch-französischen Achse hin zu einer Reihe von Ländern - von Großbritannien über die neuen Kandidaten Finnland und Schweden bis hin zu den baltischen Republiken und Polen -, die die Führung im antirussischen Kreuzzug übernommen haben. London drängt ironischerweise darauf, dass die Ukraine nach ihrem Austritt aus der EU beitritt.


* Autor des Buches Se Washington perde il controllo. Crisi dell'unipolarismo americano in Medio Oriente e nel mondo (= 'Wenn Washington die Kontrolle verliert. Die Krise des amerikanischen Unipolarismus im Nahen Osten und in der Welt"), (2017).
Twitter: @riannuzziGPC
https://robertoiannuzzi.substack.com/

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